Die Stadt lässt das WLAN in den Bürgerämtern vom Großkonzern Telekom betreiben, anstatt mit dem Stuttgarter Verein Freifunk zusammenzuarbeiten – wie die Stadt mit bürgerschaftlichem Engagement  Digitalkompetenz und Innovation antreiben könnte.

Stuttgart. In vielen Lebensbereichen erledigen wir Dinge online und digital. Bei Behördengängen ist dennoch regelmäßig noch der Papierweg nötig. Dass die Stadt Stuttgart in ihren Bürgerämtern WLAN anbietet, ist ein wichtiger Schritt zu mehr Digitalisierung.

Ihr ganzes Potential zur Digitalisierung schöpft die Stadt mit dem WLAN jedoch nicht aus. So hat man sich im Rathaus dazu entschieden, den Betrieb des WLANs an den Bonner Großkonzern Telekom zu vergeben. Obwohl es mit dem Freifunk Stuttgart einen Verein gibt, der in bürgerschaftlichem Engagement ein freies WLAN-Netzwerk in der Region Stuttgart betreibt.

Andere Städte der Region, zum Beispiel die Stadt Esslingen oder die Stadt Backnang, haben das Potential des Freifunks bereits seit längerem erkannt und unterstützen das bürgerschaftliche Engagement des Freifunk Stuttgart e.V. Sie bieten gemeinsam mit den Ehrenamtlichen „Freifunk“ an. Wenn andere Städte der Region mit dem Verein aus der Landeshauptstadt zusammen arbeiten, drängt sich die Frage auf, warum nicht auch die Landeshauptstadt selbst die Kooperation sucht.

Beim Stuttgarter WLAN müssen Nutzerinnen und Nutzer im Gegensatz zum heimischen Funknetz nach Herstellen der Verbindung zunächst eine Vorschaltseite mit rechtlichen Bedingungen bestätigen. Die rund eine Seite langen Bedingungen des Bonner Großkonzerns Telekom verlangen von den Nutzerinnen und Nutzern unter anderem, keine Inhalte zu teilen, die die Reputation der Telekom schädigen können – also keine freie Meinungsäußerung im freien WLAN? 

Zur Erklärung wie die Verbindung zum WLAN mit der Vorschaltseite funktoniert, produzierte die Landeshauptstadt sogar ein Video. Freilich müssen Nutzerinnen und Nutzer dieses ohne WLAN über ihre mobile Datenverbindung anschauen, was auf Kosten ihres Datenvolumens geht. Barrierefreier Internetzugang geht anders!

Der Verzicht auf eine Vorschaltseite,  wie es bei Freifunk der Fall ist, würde es nicht nur für Nutzerinnen und Nutzer einfacher machen, sondern auch ihr Datenvolumen schonen, indem sich Geräte ohne Zutun des Nutzers im WLAN anmelden.

Bürgerämter sind vielfach mit Glasfaserkabeln an das städtische Rechenzentrum angebunden. Sie könnten mit Freifunk zur Keimzelle der Digitalisierung werden, wenn sie ihre schnelle Internetanbindung mit ihrer Umgebung teilen. Über Drahtlosverbindungen könnten Geschäfte, Büros, soziale Einrichtungen und auch Privathaushalte angeschlossen werden. Das Netz des Freifunk Stuttgart kann jederzeit erweitert werden – clevere Computerprogramme sorgen dann dafür, dass die Daten stets den besten Weg in Richtung Internet einschlagen.

Nicht zuletzt in Zeiten des Fachkräftemangels, wäre es sinnvoll hier in offene, selbstverwaltete Netzstrukturen zu investieren. Damit ließe sich eine Infrastruktur schaffen, die kostengünstig und einfach auch in anderen städtischen Einrichtungen etabliert werden kann.

Die Stadt Stuttgart verspielt hier eine Chance vorhandene, bürgerschaftliche Digitalkompentenz zu nutzen und gleichzeitig Kosten zu sparen. Sie investiert stattdessen lieber in den Betrieb über die Telekom – das ist schade.“, so Nico Böhr, ein Vorstand von Freifunk Stuttgart.

Technikbegeisterte, die sich mit cleveren Computerprogrammen auskennen, sind auch in der Wirtschaft gesucht.  Im Freifunk Stuttgart e.V. teilen die Ehrenamtlichen ihr Wissen bei regelmäßigen Treffen und Workshops. Der Satz „Oh, das kann ich auf der Arbeit gebrauchen“ falle bei ihren Treffen häufiger, sagt Vorstand Nico Böhr. Die eingesetzten Technologien und der Bauplan der eingesetzten Computerprogramme – der so genannte Quelltext – steht offen und kostenlos zur Verfügung. Daher könne die Innovation aus dem Freifunk direkt ins Berufsleben einfließen, merkt der Freifunk-Vorstand an.

Doch nicht nur IT-affine Menschen können etwas vom Freifunken lernen, darauf legt Böhr wert. „Menschen kamen als Computeranwender zu unseren Treffen und gehen nach ein paar Wochen als Netzwerkspezialisten heraus und verstehen, was sich hinter IP-Adressen, Gateways und TCP verbirgt. Ein echter Beitrag gegen den  Fachkräftemangel.“, stellt Böhr fest.

Hintergrund: Freifunk Stuttgart e.V. – wir setzen uns dafür ein, dass Netzwerke und das Internet allen zur Verfügung stehen. Daher bauen wir in der Region Stuttgart ein freies WLAN-Netzwerk auf, das kostenlos genutzt und erweitert werden kann. Unser Netz bietet über 1300 Zugangspunkte in der Region mit fast 5000 gleichzeitigen Nutzerinnen und Nutzern.

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